Wie lange ich brauchte, um den homosexuellen Teil in mir selbst zu erkennen und was Repräsentation damit zu tun hat.
Mein Verstand hat das Verlangen so ausgerichtet, wie es alle taten: Auf Jungs. Ein Freund musste her, ich war spät dran. Den anderen Mädchen schien es so leicht zu fallen, zwischen mir und den Jungs immer eine Barriere, eine unsichtbare Plastikwand aus ihrer Unreife und etwas Unbestimmbaren.
So habe ich es in einer Schreibaufgabe notiert, im Rückblick, der so viel sichtbar macht. Aber damals, in der Pubertät fühlte ich mich einsam und vor allem anders. Klar, das ist ein Gefühl, das alle in dieser Zeit haben.
Aber was Beziehungen anging, ging einfach nichts. Ich habe es auf mich geschoben, auf meine Merkwürdigkeit. Gleichzeitig stürzte ich mich ins Anderssein, trug es wie einen Orden vor mir her.
Der erste Freund war jemand, den ich sehr mochte - aber eben nicht sexuell. Ich hatte wirklich Glück, denn ich habe mich damals doof verhalten und er ist trotzdem in meinem Leben geblieben (bis heute)
Lesbische Verdachtsmomente
Knutschen mit einem Mädchen auf einer Party, mit einer anderen im Club. Diese Küsse sind immer noch tief in meiner Erinnerung verankert. An die Jungs von damas erinnere ich mich schon auch noch. Aber ihre Küsse sind verwischt.
Ich wusste, dass ich “irgendwann mal mit einer Frau schlafen” möchte. Wenn ich mir mit Freund*innen vorgestellt habe, eine Figur aus Akte X zu sein, war ich Fox Mulder, weil ich Dana Scully sexy fand und er sie lieben konnte. Überhaupt Serien mit starken Frauen: Kim Possible, Buffy, Alias. Immer waren Frauen der Grund, sie zu schauen.
Damit sind wir beim Thema Repräsentation. In Buffy gab es mit Willow und Tara ein lesbisches Paar. Sie wurden nicht so bezeichnet. Sie küssten sich lange nicht. Dass ihre Art, Magie zu praktizieren, eine Metapher für lesbischen Sex war, ging komplett an mir vorbei (dazu muss man wissen: Ich hatte zu Hause erst Internet, als ich 18 wurde). Jede Sekunde mit den beiden habe ich aufgesogen. Sonst erinnere ich mich nicht an Lesben in den Medien, in meinem Umfeld. Höchstens noch Hella von Sinnen, aber sie hatte irgendwie nichts mit mir zu tun. Und so war mir einfach nicht klar, dass lesbisch eine Lebensoption für mich war. Das zu schreiben, fühlt sich völlig bescheuert an. Aber damals habe ich es einfach nicht verstanden.

Langsam bewegen sich die Gedanken
Als ich 20 wurde, zog ich aus zum Studieren und führte meine erste richtige Beziehung, mit einem Mann. Sie dauerte fast fünf Jahre (auch er ist zum Glück noch in meinem Leben). Sie endete, weil ich für eine Ausbildung wegzog. Dann begann mein inneres Coming-Out. So nennt man den Prozess, für sich selbst herauszufinden, dass man nicht hetero (oder cis) ist. Ich habe (Jugend-)Bücher verschlungen, Filme geschaut, alles, was ich bekommen konnte über frauenliebende Frauen. Mit Büchern wie Den Mund voll ungesagter Dinge oder Tania Wittes beziehungsweise alles, erkundete ich diese neue Welt, glich ab, ob ich diese Gefühle kannte. Das war auch verstörend, die erotischen Szenen in Blau ist eine warme Farbe haben mich extrem verunsichert (inzwischen weiß ich, dass sie von hetero Männern choreografiert wurden und sich die Schauspielerinnen extrem unwohl gefühlt haben).
Obwohl in mir die Überzeugung wuchs, auf Frauen zu stehen, fühlte sich das ohne Erfahrung wie schwindeln an. Was, wenn ich dann doch nicht lesbisch bin? Dann hätte ich das behauptet, mich eingeschlichen. In Kombination damit, dass ich mir bei Flirten o.ä. schwer tue, dauerte es erneut Jahre, in denen ich vereinzelt mit Männern ausging (was mit Einsamkeit zu tun hatte, weiß ich jetzt). Als ich bei einem Date die Kellnerin spannender fand als den Mann, war ich mir endgültig sicher.
Ein richtiges Coming-Out hatte ich nie. Ich flocht es in Gespräche ein und meine Freund*innen fragten einfach nach, schließlich kannten sie mich nur mit Männern. Es war nie ein Problem. Auch meiner Mutter habe ich es nebenbei irgendwann erzählt. Jedes Aussprechen gab mir mehr Sicherheit. Inzwischen habe ich eine tolle Partnerin und kann selbstbewusst sagen: Ich bin lesbisch.

Warum schreibe ich das alles?
Ich bin das beste Beispiel, warum es Repräsentation braucht. Es geht nicht darum, dass “jetzt überall noch queere Leute dabei sein müssen”.
Es geht darum, das ich all diese Gedanken, diese ersten Male mit Frauen lieber in meiner Pubertät gehabt hätte, statt mit Mitte bis Ende zwanzig.
Es geht darum, dass junge Menschen im normalen Leben echte Alternativen sehen können, statt im heteronormativen Default gefangen zu sein.
Meine ganze Jugend über habe ich überall nur heterosexuelle Menschen gesehen - und bin trotzdem lesbisch. Repräsentation bedeutet nicht, dass Menschen "plötzlich auf Ideen kommen". Es bedeutet, dass sie das, was sie sind, was sie fühlen, ausdrücken können, dass sie Worte dafür finden. Dass sie mit Küssen auf Parties herausfinden können, welche sich gut anfühlen - oder ob sich keiner gut anfühlt.
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